01.03.2011: Der Stein des Anstoßes

Der Stein des AnstossesIn der aktuellen Märzausgabe 2011 des Fachmagazins Jugendarbeit "Diskurs" hat Isabel einen wirklich lesenswerten Artikel verfasst, den wir euch nicht vorenthalten möchten. Er ist zum Thema "Zivilcourage und PfadfinderInnen". Vielleicht auch wieder mal ein Aufruf an uns alle, in dieser Welt sich nicht zu verstecken, sondern couragierter an Dinge heranzugehen und sich nicht alles gefallen zu lassen - denn wir sollen Stein des Anstoßes sein! Jedenfalls viel Spaß beim Lesen.

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Der Stein des Anstoßes - Zivilcourage und PfadfinderInnen

Einige Klischees über PfadfinderInnen sind weit verbreitet: Sie machen Feuer, tragen bunte Halstücher und Uniformen mit vielen Abzeichen, orientieren sich mit Karte und Kompass im Wald, veranstalten abenteuerliche Überlebenstrainings und helfen alten Damen über die Straße, um die tägliche gute Tat zu erledigen.

Dass die Aktivitäten der PfadfinderInnen mit diesen Klischees nur bedingt etwas zu tun haben und dass hinter der gesamten Freizeitgestaltung in der so genannten "Pfadfinderbewegung" sehr viel mehr steht als nur "die tägliche gute Tat", ist gar nicht so leicht zu erklären. Dieser Artikel ist ein Versuch, die Hintergrüne näher zu beschreiben - und erklärt, warum Zivilcourage bei den PfadfinderInnen eine ganz große Rolle spielt.

Was heißt "PfadfinderIn sein" denn überhaupt?

Der wichtigste Unterschied zwischen "Pfadis" und anderen (Jugend-)Organisationen ist vielleicht, dass die PfadfinderInnen nicht vorrangig als "Verein" oder "Organisation", sondern vielmehr als eine Bewegung sehen. Was das für ein Unterschied macht? Ganz einfach gesagt geht es in der Pfadfinderbewegung darum, nicht nur für gewisse Werte und Vorstellungen einzustehen, sondern diese auch zu leben. Die Hauptabsicht ist nicht Wissen zu vermitteln, sondern Kinder und Jugendliche altersgerecht dazu zu ermutigen, ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse zu erkennen und auf die bestmögliche Art und Weise zu nützen oder zu benennen. Dies geschieht auf ganz individuelle Weise; vor allem in der Gemeinschaft mit anderen, aber auch im Spiel, im Abenteuer und Wettbewerb, oder im selbst geplanten Unternehmen oder Projekt.

Das große Ziel, das über all diesen Aktivitäten und Absichten steht, ist, Kinder und Jugendliche zu verantwortungsbewussten BürgerInnen zu erziehen, die ihre Werte und Vorstellungen nicht nur erkennen und begreifen, sondern auch leben - über die Pfadfinderbewegung hinaus. Der Gründer der Weltpfadfinderbewegung Lord Robert Baden-Powell of Gilwell sagte hierzu einmal sinngemäß: "Ein wichtiger Schritt in der Charakterbildung eines Menschen ist es, Verantwortlichkeit in die Hände des/der Einzelnen zu legen."

PfadfinderIn sein heißt...
Demokratie und Frieden erleben

Die Pfadfinderbewegung ist nicht nur irgendeine Bewegung, sondern die größte Kinder- und Jugendbewegung der Welt. Und eben weil die PfadfinderInnen weltumspannend aktiv sind, sind sie mit einer großen Vielfalt konfrontiert, der sie mit großer Offenheit begegnen: PfadfinderInnen sind parteipolitisch unabhängig und offen allen Herkünften, Ethnien und Religionen gegenüber. Ein wesentlicher Aspekt in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen weltweit ist die Erziehung zum Frieden.

PfadfinderIn sein heißt...
vor allem kritisch sein

Kinder und Jugendliche werden zu kritischem Denken ermutigt und dazu angeregt, über gesellschaftspolitische Entwicklungen und Herausforderungen unserer Zeit nachzudenken. Schon die Kleinsten werden aufgefordert, ihre eigene Meinung einzubringen und Kritik zu üben und dadurch auch kritikfähig zu werden. Spätestens hier kommt Zivilcourage ins Spiel. Aber was bedeutet es denn überhaupt, Zivilcourage zu zeigen?

Zivilcouragiert sein heißt...
Stein des Anstoßes sein

Zivilcourage zeigen heißt, den Mut haben, etwas in Gang zu bringen oder aufzuzeigen. Es bedeutet sich einzumischen, einzuschreiten und auf etwas aufmerksam zu machen. Zivilcouragiert sein bedeutet vor allem: handeln! Frei nach dem für diesen Artikel gewählten Titel heißt es, nicht vom Stein des Anstoßes zu reden, sonder der unmittelbare Stein des Anstoßes zu sein!

PfadfinderIn sein heißt...
Stein des Anstoßes sein

Als Bewegung wollen die PfadfinderInnen handeln, sich ständig weiter entwickeln und vor allem dieser beschriebene Stein des Anstoßes sein. Zivilcourage - oder der Mut zu handeln und etwas zu bewegen - steckt in zahlreichen Aktivitäten der PfadfinderInnen. So werden sich beispielsweise 2011 wieder über 40.000 PfadfinderInnen aller Kontinente und aller Weltreligionen in Schweden zum Weltpfadfindertreffen zusammenfinden - im "Pfadijargon" "Jamboree" genannt, was übersetzt "friedliches Treffen aller Stämme" bedeutet. Doch auch in jeder Gruppenstunde und auf jedem Sommerlager wird gehandelt - durch demokratische Mitbestimmungsprozesse, Teilnahme und Durchführung von Sozialaktionen, Flurreinigungen oder Thematisierung gesellschaftspolitisch schwieriger Themen: Asyldebatte, Diskriminierung, Rassismus, Chancengleichheit, Gender, ...

Dieses Aktivsein soll Kinder und Jugendliche - wie bereits erwähnt - zu verantwortungsbewussten aber vor allem handelnden BürgerInnen heranwachsen lassen, die ihr Leben in die Hand nehmen und ihre Aufgaben in der Gesellschaft pflichtbewusst wahrnehmen. Das ist der Beitrag, den die Pfadfinderbewegung dazu leisten kann, die Welt ein wenig zivilcouragierter zu machen - frei nach dem Zitat der Journalistin Franca Magnani: "Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto weniger Helden wird es einmal brauchen."

Isabel Bischofberger, BA
Leiterin des Bundesjugendrates der Pfadfinder und Pfadfinderinnen Österreichs
Sozialarbeiterin beim IfS
Wichtelleiterin und Teil der Gruppenleitung unserer Pfadfindergruppe